Allein verreisen war schon immer ein Traum von mir. Allein loszuziehen und gleichzeitig auf der Suche sein nach dem Gefühl, zu etwas dazuzugehören, einer Community von gleich gesinnten … egal, ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit Bus oder Bahn, dieses Projekt hatte ich spätestens seit meinem 15. Lebensjahr im Kopf. Aber es gab einige Hindernisse, darunter das Größte der Fakt, dass ich ein Mädchen bin.
Trampen, was für mich das Traumtransportmittel für ein solches Projekt wäre, kommt für mich leider nicht infrage. Ich würde alle anderen Mädchen und Frauen sofort dazu ermutigen, sich auf den Weg zu machen, wenn sie sich den Risiken bewusst sind und sich bereit fühlen, es zu wagen. Ich bin auf jeden Fall gegen eine Angstkultur. Aber was mich angeht, stecke ich leider mitten in ebendieser Angst. Ich kann mich einfach nicht dazu überwinden.
Auch die Übernachtung bei einheimischen Gastgeberinnen ist ein Ideal für mich, dass ich anstrebe. Menschen kennenzulernen, vielleicht auch aus Zufall, die bereit sind, Reisende für eine Nacht bei sich aufzunehmen. Das wäre so ein Traum. Aber hier auch wieder das gleiche Problem. Die Sicherheit. Ich kann einfach nicht die Statistiken und die Aussagen meiner Lieben vergessen, trotz meines tiefen Wunsches nach Vertrauen in das Gute. Also vergesse ich meinen Traum und gehe Kompromisse ein.
Mit 18 Jahren traue ich mich dann zum ersten Mal fünf Tage lang zu Fuß loszuziehen, und zwar mit einem Freund. Wir schlafen in Zelten und trampen gelegentlich. Jetzt reise ich endlich, und zwar nachhaltig und in Gemeinschaft auf der zurückgelegten Strecke, aber trotzdem, paradoxerweise, fühle ich mich einsamer, als wenn ich allein reisen würde, wovon ich immer noch träumte. Aber immerhin wusste ich nun, dass ich in der Lage war, eine Reise zu wagen, deren Ziel der Weg an sich ist und nicht nur das endgültige Ziel. Das war zumindest schon ein Anfang. Ich behielt dieses Roadtrip-Projekt die ganze Zeit über in einer Ecke meines Kopfes und sagte mir, dass ich es vielleicht in ein paar Jahren versuchen könnte, wenn ich mehr Kontakte in verschiedenen Städten haben würde, entfernte Bekannte, die ich dadurch auch besser kennenlernen könnte. Ich hatte auch den Wunsch, ein eigenes Gastgebernetzwerk aufzubauen, in dem jeder für einen anderen bürgen könnte.
Und dann, in dem Jahr, als ich 19 wurde, stoße ich auf einen Artikel, den ein Freund geteilt hat. Er lebt seit Jahren ständig von eben so einem System, reist um die Welt, lernt alle möglichen Leute kennen, gründet Projekte, führt sie durch und reist dann wieder ab. Er ist sich bewusst, dass die meisten Frauen, die Reisen wollen, nicht einmal ein Zehntel von dem wagen, was er tut, weil sie sich den Risiken aussetzen, die sie eingehen, nur weil sie eine Frau sind. Er verurteilt niemanden dafür, im Gegenteil. Auf diese Weise macht er alle seine Kontakte mit SisterHome bekannt.
Das kam wie eine Offenbarung für mich. Ja, das klingt vielleicht ein wenig dramatisch, aber es hatte wirklich diese Wirkung auf mich. Seit einiger Zeit hatte ich angefangen, aus meiner vagen Idee etwas Konkreteres zu formen. Ich stellte es mir wie eine Art Roadtrip vor.
Nach einem mehr als anstrengenden Schuljahr voll von Komplikationen hatte ich dann begonnen, eine Reise nach Südfrankreich zu planen und wollte mich dabei auf meine Kontakte in der Musikbranche verlassen, die überall in Frankreich leben. Ich dachte mir, dass ich mich bei ihnen um eine Unterkunft bemühen könnte, so wie ich es für sie tun würde, dass es besser ist als nichts, dass es meinem ursprünglichen Plan näher kommt und dass es vielleicht anders ist als die Begegnung in einer fremden Gastfamilie, aber trotzdem großartig. Aber viele zogen um, die Dinge wurden komplizierter und das Projekt scheiterte, bevor es überhaupt richtig angefangen hatte. Bis ich diesen Artikel entdeckte. Und dann ging alles Schlag auf Schlag.
Der Sommer rückt bereits mit großen Schritten näher, ohne viel Zeit zum Planen. Ich will so viel wie möglich mit dem Fahrrad reisen, da Trampen für mich keine Option ist und Bus und Bahn mir zu anonym und unpersönlich sind. Wenn ich schon alleine unterwegs bin, kann ich auch gleich eine schönere Strecke genießen, und das gleichzeitig nachhaltig. Außerdem gefällt mir die Idee richtig gut, am Canal du Midi entlang zu radeln.
Ich stelle mir das so vor: Die ganze Fahrt soll eine Aktivität sein, ein Ereignis für sich. Aber die Zeit wird knapp, und ich muss alles alleine organisieren. Der Gedanke, dass ich eines Abends alleine ohne Ort zum Schlafen stranden könnte, löst ein bisschen Panik in mir aus, und zeitweise wird der tiefe Wunsch nach Begegnungen von diesem Gefühl der nötigen Sicherheit überdeckt.
Dann melde ich mich auf der Website an, schaue mir die Städte und die Profile der Gastgeberinnen an, ich bin richtig begeistert. Dieser Elan ist auf einmal da, ich möchte diese Gastgeberinnen treffen. Aber die Panik ist immer noch im Hinterkopf. All die Jahre hatte ich Angst, diese Reisen nie zu machen. Auch die Vorstellung von verschiedenen Problemsituationen, denen ich begegnen könnte, machen meine Suche nach Unterkünften etwas obsessiv, ich berechne alle Daten, Kilometer und Stunden aus, die ich mit dem Fahrrad fahren muss. Außerdem schreibe ich all die Gastgeberinnen an, die ich wirklich kennenlernen möchte und ich glaube, ich habe die Lösung für meine Suche nach Gemeinschaftsgefühl gefunden. Aber ich merke schnell, dass ich zu sehr darauf bedacht bin, jede Nacht unter einem Dach zu sein, dass der Wunsch, jemanden zu treffen, in meiner Vorgehensweise leider nicht sehr stark zum Ausdruck kommt. Die Nachrichten reihen sich aneinander, fast so, als würde ich nur jeden Reisetag abdecken wollen, auch wenn ich trotzdem nur einer Person pro Nacht schreibe, in abgelegenen Gegenden höchstens zwei. Ich weiß nicht, ob das die richtige Herangehensweise ist.
Ich weiß nur, dass ich schon sehr, sehr lange davon träume, und dass die damit verbundenen Werte tief in mir verankert sind. Dennoch habe ich aber das Bedürfnis nach Sicherheit, untermalt wird das alles von einer Dringlichkeit, die daher kommt, dass ich ja mit dem Fahrrad fahre, und diese auch noch mieten muss. Irgendwie haben all diese Sorgen und das ausgeklügelte Planen meinem Vorhaben einen Hauch von Unpersönlichkeit verliehen, zumindest dem Anschein nach.
Wenn du also den Eindruck hast, dass es dir ähnlich geht, bist du nicht allein. Reflektiere und korrigiere dich selbst im Nachhinein, wenn du es für nötig hältst, und versuch dich an deine ursprünglichen Gründe zu erinnern. Warum bist du hier? Ich bin mit der Planung dieser Reise noch nicht fertig, aber nachdem ich diesen Artikel geschrieben habe, fühle ich mich zumindest etwas gelassener, weil mir mein Gedankengang schwarz auf weiß vor Augen stehen: Ich habe von etwas geträumt, ich will es machen, ich kann es erreichen, alles ist unbekannt, ich habe Angst. Und ich kämpfe damit, diese Angst zu überwinden. Aber die Angst verändert meinen Traum nicht. Und bevor ich die Feder niederlege, will ich mich noch mal bei SisterHome dafür bedanken, dass es sie gibt, und den Gastgeberinnen dafür, dass sie da sind. Ich freue mich darauf, sie zu treffen.
Laure M.